gelesen: Slant von Greg Bear

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Slant von Greg Bear: Wieder ein Buch das sich wirklich lohnt! – Auch zum Zweiten mal. Diesmal hab ich mehr am Stück lesen können oder hatte schon etwas den Überblick. Daher konnte ich mehr auf die tollen Themen im Hintergrund achten.

Wer sich an das Buch wagt, hat erstmal zu verdauen daß eine Sexarbeiterin begleitet wird. Das ist je nach Umfeld für viele zu extrem, aber es lohnt sich. Und daß Sex, real oder in Medien als Flucht aus der Realität dient ist menschlich. „Wir können eine Kultur durch das definieren, was sie sieht und was sie nicht sieht. Es gibt keine Kultur auf der Erde (oder außerhalb, wie ich vermute), die den Sex klar und deutlich wahrnimmt.“ (S. 213)

Die soziologische Entwicklung in der (westlichen?) Welt wird prima vorausgesehen. Und das schon 1997. Nur die Nanotechnologie haben wir nicht so intensiv genutzt. „„Dass unsere heutige Gesellschaft ein Stadium erreicht hat, in dem effektive Therapien zu einer Notwendigkeit geworden sind. Wenn Sie die Auswirkungen der Therapie aus der Kultur entfernen, wird ein langer Abstig in die Anarchie beginnen.“ „Warum?“ „Die Belastungen, unter denen die besten und klügsten Mitglieder der globalen Sozialsysteme stehen, sind genauso fein aufeinander abgestimmt wie die Belastungen der empfindlichen Teile einer Hochgeschwindigkeitsmaschine. Vor etwa andertalb Jahrhunderten wurden die Belastungen zu groß, was zu einer Steigerung der Fälle thymisch unausgeglichener Individuen führte. Die Leute wurden nicht notwendigerweise verrückt – aber sie waren sehr unglücklich.“ „Die Arbeitsbelastung wurde zu groß?“ „Nicht unbedingt. Es ist nur schwer mit einfachen Worten zu erklären. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Belastungen gerade so groß waren, um störende und sogar lähmende thymische Probleme zu verursachen. Das mentale Äquivalent eines Tennisarms oder Zapperdaumens – allerdings im größeren Maßstab. Ohne wirkungsvolle Therapien, die prinzipiell jedem zur Verfügung stehen, wären wir nicht in der Lage, unsere heutige Datenfluss-Ökonomie aufrechtzuerhalten.“„ (S. 236ff) Und heute sind Therapien auch bei uns immer akzeptierter, Resilienz und Achtsamkeit werden zunehmend zur Kulturtechnik die allen bewusst ist. Stimmungsaufheller und andere Psychopharmaka halten manche Firma am Laufen, die ohne diese medikamentösen Krücken wesentlich höhere Personalkosten hätte.

Datenflussökonomie – wer nicht damit zurechtkommt wird zu einem Disaffektiven. Und die nutzen ihre finanzielle Unterstützung für das Yox, bisher Sky, jetzt Amazon, Disney, Apple, Netfix, Steam, ….

Und der Luxus, oder was als solcher angesehen wird. Luxus sind gesellschaftlich akzeptierte Symbole um Status zu zeigen. „Das Geld ist leider nicht die Wurzel allen Übels. Geld ist nur ein Symbol. Es ist die Gier nach Symbolen, die uns erniedrigt; mit Geld lassen sich andere Symbole kaufen, die all unsere Mängel und Defizite repräsentieren, während es keine wirkliche Leere ausfüllt. Zu diesem Austausch werden wir durch die falschen Helden und Heldinnen in Vid und Yox ermutigt, Bilder der Errungenschaft, die so inhuman wie Prosthetuten und längst nicht so mitfühlend sind. Sie empfinden Sägespäne-Traurigkeit und Glitter-Freude.“ (S. 326) Erst kürzlich sind die vollständig durch KI erzeugten Influenzer durch die Medien gegangen. Indoru von Gibson wird diese Tage zur Realität.

Was ist Kultur? Eine notwendige Verzerrung der eigentlichen, natürlichen Seinsweisen. „Die nächste Zuflucht: Die Verzerrung der der Persönlichkeit. Akzeptieren Sie es: Sie bewegen sich bekleidet in der Gesellschaft, obwohl die Kleidung zwickt, scheuert und den Blutkreislauf hemmt. Wir alle leben mit den Narben ritueller Verstümmelungen. Der ultimative Verrat: Die Kultur benutzt unsere Narben zur Stärkung ihrer Struktur. Wir sind die Kultur, die Kultur sind wir; wir sind die Grausamen, Blinden und Gefesselten, aber wir sind gleichzeitig die Folterknechte.“ (S. 396)

Algorithmen bis hin zur KI die von biologischen Lebensgemeinschaften ausgeführt werden. Nicht „nur“ in einem Organismus. Und nicht nur in DNA/RNA wie es Greg Bear in Blutmusik beschreibt. Sondern in vielen zusammenhängenden symbiotischen Schwärmen. Ameisen, Wespen und Bienen. In Erdreich das von Bakterien und Wurzeln durchsetzt ist. „Das Erdreich ist mit einer dichten Bakterienpopulation dursetzt, die mit den Erbsen an den Spalieren in Kontakt steht und auf irgendeine Weise von ihnen ernährt wird. Die veralteten medizinischen Monitoren beobachten die Bakterien und registrieren biologische Lösungen für Problem, die von den angeschlossenen INDAs gestellt werden, vielleicht in Form von Antibiotika oder maßgeschneiderten Bakteriophagen. Die Bakterien tauschen buchstäblich Körperflüssigkeiten aus, Plasmide und Rezepte. Und mit immenser Subtilität und Leistungsfähigkeit, wenn auch vermutilch sehr langsam, setzen sie die fruchtbarsten und ältesten Methoden der Natur ein, um menschliche Probleme zu lösen.“ (S. 508) – Extrem parallele Prozesse, die Passwörter und Firewalls ihrer Sinnhaftigkeit berauben.

Das, und noch viel Mehr, in einem spannenden Zusammenhang. Wie gesagt: Leseempfehlung, obwohl schon über 25 Jahre alt!

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