Ebenbild Gottes

Ebenbildlichkeit und Selbstfindung

15.09.09 in P&S Magazin für Psychotherapie und Seelsorge
von Hans-Joachim Eckstein

„Zum Bilde Gottes schuf er sie …“

Ebenbildlichkeit und Selbstfindung

Das Wort "Identität" kennt die Bibel nicht. Aber sie hat ein ganz eigenes Wort, um zu beschreiben, was den Menschen ausmacht: dass er nämlich "zum Bilde Gottes" geschaffen ist. Aber was bedeutet "Ebenbildlichkeit"?

Wie schon der Schöpfungsbericht bezeugt, sind wir als Menschen dazu geschaffen, Ebenbild Gottes zu sein: "Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn" (1. Mo 1, 27).
Aber was ist genau mit dieser Ebenbildlichkeit gemeint? An eine äußere Ähnlichkeit oder Nachbildung kann wohl kaum gedacht sein, da Gott nicht wie ein Mensch vorgestellt wird oder abgebildet werden soll (2. Mo 20,4). Eher könnte man bei der Ebenbildlichkeit gemäß dem Schöpfungsbericht daran denken, dass der Mensch den Auftrag erhält, im Namen Gottes und vor ihm über die Erde und die übrigen Geschöpfe in Fürsorge und Verantwortung zu herrschen. Dann bezöge sich die Ebenbildlichkeit auf die Verantwortung, gemäß dem Auftrag Gottes und für ihn auf dieser Erde zu leben. Aber auch damit bleibt die Frage noch offen, wie dieses stellvertretende Handeln des Menschen als Bild und Gegenüber Gottes genau zu verstehen und auszuleben ist.

Während wir in der deutschen Sprache von den Begriffen "Bild", "Ebenbild" und "Abbild" an sich noch keine klare Vorstellung ableiten können, hilft uns die griechische Sprache weiter, in der die ersten Christen ihre "Heilige Schrift" gelesen haben und die neutestamentlichen Bücher ursprünglich geschreiben wurden.

Vom griechischen Sprachgebrauch und Denken her könnte man den biblischen Begriff „Ebenbild“ – eikon – etwa so bestimmen: Das Ebenbild ist der sichtbare Ausdruck einer unsichtbaren Kraft, die erkennbare Verkörperung eines unsichtbaren Wesens, das wahrnehmbare Spiegelbild eines an sich verborgenen Urbildes.

Auf diese Weise wird das Urbild durch das Ebenbild repräsentiert – d. h., es ist in ihm offenbar, gegenwärtig und wirksam. So wird Jesus Christus in 2. Kor 4,4.6 und Kol 1,15 als das Ebenbild Gottes bezeichnet, weil wir in seinem Angesicht das Wesen und die Herrlichkeit Gottes, seines Vaters, erkennen können und in ihm der an sich unsichtbare Gott für uns sichtbar und offensichtlich wirksam ist: „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15).

Durch seine Menschwerdung und sein irdisches Leben hat der Sohn Gottes das Wesen seines himmlischen Vaters offenbar gemacht und durch seine Zuwendung und Hingabe bis zum eigenen Tod die Liebe und Güte Gottes für uns verkörpert. Er hat in allem, was er lebte, verkündigte und tat, das Wesen Gottes, seines Vaters, so widergespiegelt, dass es für uns greifbar und erfahrbar wurde. Deswegen kam es bei uns „zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“ (2. Kor 4,6).

Damit konnten die ersten Christen von Jesus Christus bekennen, was Israel zuvor nur von Gottes eigenem Wort und seiner eigenen Weisheit zu sagen wagte – denn sie er kannten in Christus als dem Sohn Gottes die Weisheit Gottes in Person (1. Kor 1,30) und das Mensch gewordene Wort Gottes (Joh 1,1-18). Wer ihn sah, der sah zugleich den Vater; und wer ihn hörte, der hörte in Wahrheit Gottes Wort (Joh 5,19f.30; 12,44-50; 14,7-11).

Wenn nun auch wir als an Christus Glaubende das Wesen und die Herrlichkeit Gottes für andere Menschen sichtbar machen sollen (2. Kor 3,18; 4,6), wie wir sie bei Christus gesehen und erkannt haben, liegt alles daran, dass wir unsere Bestimmung zur Ebenbildlichkeit richtig verstehen.

Als Ebenbilder sind wir selbst nicht die Quelle, sondern der Strahl, nicht das Licht, sondern der Widerschein. Denn das Geheimnis eines Ebenbildes liegt nicht in seiner eigenen Kraft und Energie, sondern in dem Wesen seines Urbildes, auf das es bezogen ist und an dem es teilhat.

Worin der entscheidende Unterschied zwischen einem so verstandenen Ebenbild und einer falsch verstandenen Abbildlichkeit und Nachahmung besteht, bekommen wir anschaulich vor Augen gestellt, wenn uns der volle Mond in der Nacht bei klarem Himmel leuchtet. Obwohl er selbst keine Lichtquelle ist und keine Energie zum eigenen Leuchten hat, strahlt er für uns das Licht der Sonne auch mitten in der Nacht zurück.

Das Geheimnis seiner Faszination liegt nicht in seinem eigenen Vermögen, denn er verkörpert nicht die Lichtquelle, sondern die Widerspiegelung des Lichtes. Seine Wirkung beruht darin, dass er das in der Nacht für uns an sich unsichtbare Licht der Sonne auffängt und zurückstrahlt. Er lässt uns an dem teilhaben, was er selbst empfängt. So sehen wir in Wahrheit eigentlich nicht den Mond, sondern die Sonne im Angesicht des Mondes strahlen; und was uns am Ebenbild fasziniert, ist der Widerschein des Urbildes.

Der Mond ist als Ebenbild also ohne Einschränkung und Vorbehalt auf die Sonne bezogen und steht nicht etwa in einem Konkurrenzverhältnis zu seinem Urbild. Er braucht es weder zu imitieren noch mit ihm zu rivalisieren. Er würde es nicht einmal wahrnehmen, dass er auch selbst strahlt, weil er ganz in dem Licht der Sonne steht, von der er alle Ausstrahlung bezieht. Nur manchmal kann es doch passieren, dass selbst bei Vollmond und in klarer Nacht das Licht der Sonne sich für uns verdunkelt, dann nämlich, wenn sich unsere Welt – die Erde – zwischen den Mond und seine Sonne stellt und ihn für kurze Zeit verfinsternd um seine Faszination und Wirkung bringt. Weniger romantisch, aber nicht weniger zutreffend könnte man auch sagen, dass die elektrischen Birnen Ebenbild des elektrischen Stroms sind, denn sie sind der sichtbare Ausdruck einer an sich für unser Auge unsichtbaren Kraft. Sosehr sie von sich aus nicht leuchten könnten, sosehr verkörpern sie doch als „Lichtkörper“ die in ihnen wirksame Energie, so dass man mit ihrer Hilfe den Strom an seiner Wirkung erkennen kann.

Paulus konnte von Strom nichts wissen, er hatte ein anderes Bild im Sinn, wenn er an Licht und seine verwandelnde Kraft dachte: „Nun aber spiegelt sich bei uns allen die Herrlichkeit des Herrn in unserem aufgedeckten Angesicht, und wir werden verwandelt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur anderen von dem Herrn, der der Geist ist.“ Er knüpft in 2. Kor 3,7-4,6 an die Erzählung von dem Glanz auf dem Angesicht des Mose in 2. Mo 34,29-35 an: „die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte“ (V. 29).

Gottes Ebenbild sind wir nicht, indem wir uns selbst erleuchten, sondern indem der Gott, der einst das Licht durch sein Wort erschuf, das Licht seiner Erkenntnis in uns und durch uns für andere Menschen erkennbar zum Leuchten bringt.

Dr. Hans-Joachim Eckstein, geboren 1950, ist Professor für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen (Lehrstuhl für Neues Testament mit Schwerpunkt Evangelienforschung).


Diese Seite ist von Andreas Walter im März 2010 gestaltet.

Mail an Teefax alias Andreas Walter

Zurück zur Philosophie und zu meiner Homepage