Früher war der Klatsch eine ernste Sache. Heute ist er eine aussterbende Kunst

© L'Espresso: aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber; Aus dem Zeitmagazin Nr.30

ILLUSTRATION VON GERHARD GEPP

Laber, laber, laber...

In Urbino hat. im Rahmen der üblichen Sommersymposien zur Semiotik, ein Kongreß über den Klatsch stattgefunden. Viel Prominenz war da. ich weiß nicht mehr im einzelnen. wer was gesagt hat. aber das Schöne an solchen Kongressen ist ja. daß man am Ende ein paar neue Ideen im Kopf hat, deren Vaterschaft umstritten ist.

Gesprochen wurde über den Klatsch im Fernsehen. dem spezielle Sendungen gewidmet sind. in denen jemand dazu gebracht wird, Bekenntnisse über sein Privatleben abzulegen. Nun ist (war'!) der klassische Klatsch derjenige im Dorf in der Pförtnerloge oder inder Kneipe. ein Element des sozialen Zusammenhalts. Man klatscht nie über jemanden, der gesund. erfolgreich und glücklich ist: man klatscht über einen Defekt, einen Fehler. das Unglück anderer. So nehmen die Klatschenden in gewisser Weise Anteil an den Mißgeschicken der Beklatschten. (Klatsch impliziert nicht immer Verachtung, er kann auch zu Mitleid führen.)

Aber das funktioniert nur. wenn die Beklatschten nicht anwesend sind (sonst wäre es bloß Aggression) und wenn sie nicht wissen. daß über sie geklatscht wird (oder ihr Gesicht wahren können, indem sie so tun, als ob sie's nicht wüßten). Das gibt den Klatschenden ein gewisses Machtgefühl: ..Wir wissen Bescheid über dich. aber du weißt nicht, daß wir Bescheid über dich wissen. Sie müssen überzeugt sein, ein Geheimnis zu besitzen. und glücklich. es mit vielen anderen zu teilen.

Zeigt der Beklatschte. daß er weiß. daß über ihn geklatscht wird, kommt es gewöhnlich zum Krach ..gemeine Verleumdung. ich weiß, daß du überall rumerzählst. ich wäre ... Ist es zum Krach gekommen, ist das Gerücht öffentlich geworden. Wer Krach schlägt. hat durch seine Öffentliche Reaktion den Klatsch ratifiziert. auch wenn er eine Lüge war. Also gibt es nun nichts mehr, worüber man klatschen kann.

Beim Klatsch im Fernsehen dagegen wird nie schlecht über jemanden gesprochen. der nicht anwesend ist. denn erstens wäre das strafrechtlich verfolgbar, und zweitens ist die Show nur dann reizvoll. wenn das Opfer über sich selbst klatscht. indem es intime Dinge aus seinem Leben verrät. Die Beklatschten sind hier die ersten. die wissen, daß über sie geklatscht wird. und alle wissen. daß sie es wissen. Sie sind keine Opfer irgendwelcher Gerüchte. Es hat nicht den geringsten Reiz, einander am nächsten Tag zuzuraunen: ..Hast du gehört. der X hat Gestern im Fernsehen zugegeben, daß er gehörnt worden ist« Es gibt kein Geheimnis mehr. Außerdem kann man nicht mehr über die Beklatschten herziehen (sie hatten ja den Mut zu gestehen). aber man kann sie auch nicht mehr bedauern. (Sie haben aus ihrem Geständnis einen beneidenswerten Vorteil gezogen: die öffentliche Selbstdarstellung.)

Das Schöne am klassischen Klatsch war. daß er, solange der Beklatschte sich nicht durch Krachschlagen verriet, endlos weitergetratscht werden konnte. Die Klatschbase konnte sich jahrelang über einen Ehebruch anderer ergehen. Der Fernsehzuschauer dagegen braucht, nachdem X sein Geständnis abgelegt hat, nichts mehr von ihm zu hören. Und tatsächlich wird ja in der nächsten Folge ein anderer dasitzen und erneut anfangen. über sich selbst zu klatschen. So gibt es jeden Tag einen neuen Klatsch, er stirbt, kaum daß er öffentlich gemacht worden ist. und die vorangegangenen Klatschereien haben sich inzwischen selbst zerstört. Das Fernsehen hat dem Klatsch - der doch wichtige soziale Funktionen erfüllte - den Garaus gemacht.

Ein Kritiker hat nun, an Blackmur anknüpfend, den Gedanken nahegelegt, daß schon der antike Mvthos ein abgeleiteter Klatsch war. Vermutlich seien die Mythen als Klatschereien entstanden. dienten sie doch dazu. uns mit den Göttern vertraut zu machen. ihre Note und ihre Verfehlungen zu bemitleiden oder zu verdammen. (Es lohnt sich vielleicht. darauf hinzuweisen. daß die monotheistischen Religionen den Klatsch nicht erlauben, der höchstens blasphemischer Akt,Verleumdung und Lüge wird.)

Dagegen wäre einzuwenden. daß der Mvthos. da er öffentliche Erzählung war, den Klatschenden nicht das schöne Gefühl gegeben haben dürfte. sich im Besitz eines Geheimnisses zu wissen. Aber vielleicht war es der Tragödiendichter, der die Zuschauer in die Geistesverfassung dessen versetzte, der zum ersten Mal ein Geheimnis hört, und so fühlte sich jeder schrecklich und herrlich allein auf den dichtbesetzten Stufen des Amphitheaters. Und das muß irgendwie mit der Katharsis zu tun gehabt haben, auch wenn ich mich hier nicht dazu versteigen will, neue Interpretationen für sie vorzuschlagen.

Müßten wir also sagen, daß der sogenannte Fernsehklatsch - auch wenn er kein Klatsch ist - etwas mit dem Mythos zu tun hat? Nein, das glaube ich wirklich nicht. Der Mythos nimmt ein göttliches Wesen, das über uns steht, und sagt uns, indem er über es klatscht, daß es uns im Grunde in vieler Hinsicht gleicht. Die Fernsehsendung nimmt ein Wesen, das uns gleicht, und sagt uns, indem es über es klatscht, daß wir es gerade deshalb als eine Gottheit betrachten sollten. Ich will nicht ausschließen, daß ein paar unterentwickelte Zuschauer diese beiden Dvnamiken verwechseln können. Aber vielleicht hat die Erinnerung an Venus, die ihren Gatten Vulkanus betrügt. mehr Chancen, im Gedächtnis haften zu bleiben, als die an den letzten Selbstverstümmler, den man in der Glotze gesehen hat.


Immer nur Fernsehen verhindert Sozialkontakte...

Diese Seite ist von Andreas Walter im November 1997 gestaltet.

Zurück zur Philosophie und zu meiner Homepage