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Gott hat sich selbst zum Opfer machen lassen

Im Abendmahl ist nur metaphorisch vom Blut die Rede. Gemeint ist der Tod Jesu am Kreuz

- VON GERHARD SELLIN -

Im Alter hatte Franz von Assisi keinen sehnlicheren Wunsch, als die Wunden Jesu am eigenen Leib zu spüren. Im Jahr 1224 zog er sich aus der Leitung des Franziskanerordens zurück und ging in die Einsamkeit. Er betete nachdrücklich darum, das Leiden Jesu selbst zu erfahren. Da erschien ihm der Gekreuzigte, und es entstanden an Franz' Händen, Füßen und Brust die offenen Wunden Jesu. Die Nägel der Kreuzigung traten als schwarze Fleischauswüchse hervor. Franz litt sehr. Nur Bruder Leo durfte die Wundmale sehen und verbinden. Nach der Franziskus-Biographie von Thomas von Celano aus den Jahren 1245 - 1247

"Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung", heißt es im Hebräerbrief (9, 22). Sein Verfasser, der nicht bekannt ist, meint damit zunächst den Schlachtopferkult im Tempel: "Denn die Seele der Kreatur ist im Blut, das Blut wirkt Sühne durch die Seele, die in ihm ist" (3. Mose 17, 11). Ursprünglich wurde das Tierblut den Feldgöttern gespendet. Blut ist der heilige Lebenssaft, in welchem die den Göttern gehörende vitale Lebenskraft ("Seele") gebunden ist. In Israel kommt die Lebenskraft allein vom heiligen Go tt, und deshalb wird allein auf seinem Altar geopfert. Zehn Tage nachdem für die Juden ein neues Jahr begonnen hatte, am großen Versöhnungstag, ging der Hohepriester mit dem Blut der Opfertiere in das Allerheiligste des Tempels, um Reinigung des Heiligtums und Sühne für das Volk zu bewirken (3. Mose 16).

Verfasser des Hebräerbriefes bezieht das alles auf den Tod Jesu, der so als ein kosmisches Opfer gedeutet wird. Dieses Opfer vollzieht Christus nicht mit Tierblut, sondern mit seinem eigenen Blut. Auch diese Erlösung wird also durch Blut vollbracht. Aber es ist klar, daß "Blut" hier nur noch eine rhetorische Formulierung für das Sterben Christi ist. Der ganze mit dem Tempel vergangene Opferkult wird zu einer Allegorie: "Blut" und "Opfer" bekommen metaphorische, den Kreuzestod Jesu interpretierende Funktion. Folglich ist das Blut als materielle Substanz nicht nötig. Die Opfervorstellung dient nur der einzigen Aussage, daß Christus endgültig verwirklicht hat, worum die Menschen sich durch ihre ständigen Opferriten gemüht hatten: Gott, das Heilige, für sich gnädig zu stimmen und so den Segen für das Volk und das Leben zu gewährleisten.

Der Gedanke der kultischen Reinheit, der zum Beispiel im Ritus der Besprengung mit Opferblut zum Ausdruck kommt, dient der erträglichen und geregelten Kommunikation mit dem Heiligen. Die Welt lebt von ihrem heiligen Grund, aber wenn das Heilige direkt auf das Unreine, Profane trifft, wird dieses zerstört. Die Ambivalenz des Heiligen als eines Zerstörenden und gleichzeitig Leben Gewährenden findet sich in der Ambivalenz vom zürnenden und gnädigen Gott wieder. Zur Zeit der Abfassung des Hebräerbriefes, vermutlich zwischen 80 und 90 nach Christus, gibt es den Tempel und damit den Opferkult nicht mehr. Die Logik des Opferns war bereits von den Propheten erschüttert worden. Die kultische Zähmung der Heiligkeit Gottes zum Zwecke der Segensvergewisserung hatte ihre Plausibilität verloren. Die ersten Christen haben angesichts der Erfahrung des schmählichen Todes jenes Menschen, der ihnen als das menschliche Antlitz Gottes erschien, die Konsequenz gezogen: Gott selbst hat das letzte Opfer vollbracht und damit die profane Welt geheiligt und versöhnt.

Nun spielt aber im zentralen Ritus des christlichen Kultes, dem Abendmahl, das Blut Christi scheinbar doch eine wesentliche Rolle. Wenn etwa bei der Austeilung des Kelches die Worte gesprochen werden: "Christi Blut, für dich vergossen", dann liegt die Assoziation an symbolischen Blutverzehr und (über das Wort vom Leib) symbolische Anthropophagie (das Essen von Menschenfleisch) nahe. Religionsgeschichtlich ist das nicht einmal unbegründet. Auch das christliche Abendmahl hat wie die sakramentalen Mahlzeiten der Mysterienkulte in neutestamentlicher Zeit noch etwas von der Funktion der Einverleibung göttlicher Substanz und der dadurch bewirkten Vereinigung der Kommunizierenden. Nach dem Kulturwissenschaftler Renè Girard ("Das Heilige und die Gewalt") steht am Anfang der Religion und damit der Kultur die Gewalt: ein kollektiver Gründungsmord, in welchem ein Mensch als "Sündenbock" zur Festigung der Gemeinschaft geopfert wird, um die Gewalt innerhalb der Gesellschaft zu bändigen. Das Opfer stiftet so durch seinen T od Versöhnung. Sein Blut hat reinigende Funktion - während Blut sonst verunreinigt, weil es als vergossenes immer mit einer gemeinschaftszerstörenden Gewalt verbunden ist.

Hier zeigen sich aber indirekt auch schon die Grenzen einer solchen Deutung des christlichen Mahles: In der jüdischen Tradition, der das frühe Christentum selbst dort verbunden und verpflichtet bleibt, wo es antijudaistische Fronten zieht, ist von Anfang an auch das Opferblut vom Genuß ausgeschlossen. Ein Ritual mit einer solchen Symbolik wäre in diesem Kontext völlig unakzeptabel gewesen. Und die älteste Kultformel des Abendmahls - die sogenannten Einsetzungsworte, die uns in zwei Urfassungen begegnen: in 1. Korinther 11, 23-6 und bei Markus 14, 22-5 - schließt tatsächlich jeden Gedanken an eine Symbolik des Bluttranks aus. In der Fassung, wie Paulus sie überliefert, wird nicht der Kelchinhalt, sondern der Kelch selbst gedeutet: "Dieser Kelch ist der neue Bund. . . " Die Fortsetzung ". . . in meinem Blut" qualifiziert den Bund. Angespielt wird auf den Bundesschluß am Sinai, bei dem ein Opferblut-Ritus (das Bundesblut: 2. Mose 24, 8) eine Rolle spielt. Im Zusammenhang der Abendmahlsformel steht "Blut" nun für den Tod Jesu: Sein Tod ist die Grundlage des neuen Bundes. Eine Assoziation von Wein und Blut ist hier ausgeschlossen, da es ja gar nicht um den Kelchinhalt geht.

Anders scheint es auf den ersten Blick in der Markus-Fassung zu sein. Dort wird die Kelchhandlung mit den Worten gedeutet: "Dies ist mein Blut des Bundes, das vergossen worden ist für viele." Aber auch hier geht es um eine Konstituierung des Bundes durch den Tod Jesu. Dazu wird auf das Bundesblut vom Sinai durch ein wörtliches Zitat ("das Blut des Bundes") aus 2. Mose 24, 8 angespielt. Auch hier ist "Blut" also nur ein Ausdruck für den Tod Jesu, der die neue Gemeinschaft konstituiert, nicht aber spielt es eine Rolle als Begriff an sich. Die weitere Aussage "vergossen für viele" qualifiziert ebenfalls den Tod ("Blut vergießen" = töten): Der Tod Jesu ist ein Geschehen, das einer unbegrenzten Schar von Menschen Erlösung, Heil verschafft. Das wichtigste Wort in der ganzen Aussage ist also das Wörtchen "für".

Wie steht es aber um das Brotwort? Wird mit dem Brot nun etwa symbolisch Menschenfleisch gegessen? In beiden Fassungen steht nicht "Fleisch", sondern "Leib". "Leib" bedeutet im neutestamentlichen Sprachgebrauch fast nie den "Körper", sondern die ganzheitliche Person, die jeweilige Kreatur. In der Fassung bei Paulus steht das wichtige "für" anders als bei Markus nicht bei dem Wort "Blut", sondern bei diesem Wort "Leib": "Dies ist mein Leib für euch; tut dies (nämlich: das Mahl zu halten und das Brot zu brechen) zu meinem Gedächtnis!"

Es geht also um die ganze Person des getöteten Herrn, die mit dieser Mahlzeit vergegenwärtigt und erinnert wird. Im Gemeinschaftsmahl ist Jesus immer neu "anwesend". Sowohl der Kelch als auch das Brot werden von Paulus ein Kapitel zuvor im Sinne des "Bundes", der Gemeinde, interpretiert: "Der Kelch . . ., den wir segnen" (gemeint ist der im jüdischen Festmahl übliche Segensbecher), "ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes (= des Todes) Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?" (1. Korinther 10, 16) Hier erhält der Begriff Leib noch eine weitere Deutung: "Weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib" (Vers 17). Demnach wird also Christus als Person repräsentiert durch die Einmütigkeit und solidarische Gemeinschaft der verschiedenen Menschen, die ihn "erinnern". Sie bilden den "Leib Christi".

Wenn also auch das Blut Christi zur Erlösung der Welt nicht nötig ist, so ist dazu doch sein gewaltsames, vernichtendes, unschuldiges Sterben durchaus notwendig. Auf den ersten Blick leuchtet dieser Satz nicht ein. Seine Wahrheit beruht auf einem Paradox: Gott begegnet den Menschen am Kreuz, als ein Opfer, als Verlierer. Die neutestamentliche Aussage, daß Gott seinen Sohn in den Tod gegeben hat, wäre zynisch, wenn dieser radikale Sinn, daß Gott sich selbst damit erniedrigt, nicht eingeschlossen wird. Es geht also letztlich um Gottes Selbstopfer für seine Welt. Es wäre auch voreilig, jetzt sofort auf die Auferweckung Jesu hinzuweisen: als hätte Gott damit die Niederlage wieder ausgebügelt. Das Wort von der Auferweckung Christi besagt, daß das Wort vom Kreuz das lebenschaffende Wort Gottes ist. Dieses wird also durch die Rede von der Auferweckung weder aufgehoben noch überboten.

Der Autor ist Professor für Neues Testament in Hamburg


Wenn Sie mehr lesen wollen, DS - Das Sonntagsblatt - Nr. 13


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29. März 1996


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